Schon mehrmals in meinem Leben, auch schon in jungen Jahren war ich bei Menschen die starben. Viele dieser Menschen kannte ich nicht wirklich, es waren mehr Zufälle, die diese Situationen herbeigeführt haben.
So lebte damals eine „Böse alte Frau“ – ja sie sei gar wohl eine Hexe, allein in einem Hause. Man spielte Ihr gar oft böse Streiche und kaum jemand redete mit Ihr. Die meisten hatten Angst vor der Frau, welche sich in Ihrem Leid zurück zog und immer seltener draussen im Garten zu sehen war. Es war mein Schulweg. Und hin und wieder blieb ich stehen, wollte einen Blick auf die Hexe erhaschen. So prallte ich eines Tages fast auf Sie, als ich um die Ecke gerannt kam und Sie stand direkt beim Eingang zu Ihrem Garten. Wer mehr erschrak, ja mehr Angst in den Augen hatte – ich oder die Frau, dass kann ich nicht definitiv sagen. Es gab mir einen deftigen Stich ins Herz, denn ich spürte den Schmerz der Einsamkeit und Pein dieser Person. Und das verwirrte mich, vielleicht auch dass ich das Gefühl hatte, mich hingezogen zu fühlen zu dieser Frau – der Hexe – die Sie nie war.
Amrein – war Ihr Namen und das Haus war an der Juchgasse in Zeiningen, und gibt es auch nicht mehr. Ohne das es jemand wusste, wissen durfte, traf ich mich hin und wieder mit dieser Frau, ich liebte Sie, weil Sie mich nahm wie ich war. Sie spürte was in mir passierte, vorging und wenn Sie auch nicht viel redete, mal einen dieser furchtbaren Kräutertees, mal eine Salbe auf eine Wunde oder etwas warmes in den Bauch – wir wussten, dass wir trotz der vielen Jahre sonst gar nicht so unterschiedlich waren.
Eines Tages traf ich Sie nicht an im Garten. Etwas sagte mir, da stimmt etwas nicht. So schlich ich von hinten in das Haus um nach Ihr zu schauen. Denn Sie war in den letzten Tagen und Wochen immer schwächer geworden. Sie lag in Ihrem Bett und streckte mir die alten, dürren Hände entgegen. In der Ecke des Raumes war der Dorfpfarrer – ein furchtbares Wesen. Er ging mich auch sofort an – Bengel was willst Du hier… doch er schwieg sehr schnell als er die Hände sah, die Frau wollte das ich Ihre Hand hielt. Ich trat neben Sie, nahm Ihre Hände in die meinen und schaute Ihr in die brechenden Augen. „Jetzt kann ich gehen, jetzt ist alles gut“. Sie lächelte und verlies diese Erde und hastig gab man Ihr die letzte Oelung oder was immer dies darstellen sollte.
Trotz der Trauer, war ich froh, Sie hatte gelächelt, hatte keine Angst und Sie würde niemehr gepeinigt, verrufen und schlecht behandelt werden – Sie ging nach Hause. Vieles begriff ich erst ein paar Jahre später – denn ich war noch sehr jung und musste lernen. In ähnlicher Weise war ich dann noch ein paarmal bei Menschen kurz vor Ihrem Tod oder als Sie starben. Warum Sie Ihre Angst verloren und ruhig wurden, als ich bei Ihnen war, weiss ich nicht wirklich. Und ich mochte es auch nicht besonders, dass einige Menschen ohne mich zu kennen mir die Hände entgegen streckten – gerade mir! Ich der Menschen eigentlich nicht mochte – eher das Gegenteil.
Etwas das reifen musste über viele Jahre. Denn ich begriff eines – man kommt mit nichts, geht mit nichts und jagt sein ganzes Leben nach irrwitzigen Werten ohne wahren Wert. Dann in dem Moment wo man gehen muss, da fühlt man dieses unsinnige Leben, all das was nur wertlose Materie, dauernden Ausreden, dummen Ideologien und Schubladen der Menschheit.
Wisst Ihr welche gelächelt haben als Sie starben? Diejenigen die an Momente voller Gefühle zurück dachten, diese Emotionen in sich spürten und wussten – ich habe gelebt und geliebt. Nicht Worte, nicht Floskeln. Da stand kein schönes Auto in der Garage, kein wunderbares Haus, nichts dergleichen – nein es war eine Hand die sagte – ich bin da, alles ist gut. Wie lächerlich doch das Leben vieler wurde beim Anblick vom Tod – unsinnige Jagd nach etwas das nur die Wertlosigkeit der Menschen belegt – nicht fähig zu leben, nur zu funktionieren – darum nicht fähig zu sterben.
Ich danke denen Menschen, die einfach nur da sind, wenn es nicht mehr braucht – als ein wenig Gefühle – ich bin da – mehr nicht.
